DIE 12 SINNE IN DER WALDORFPÄDAGOGIK
Der Geruchs- und Geschmackssinn

In meinen letzten Berichten habe ich die unteren vier Sinne beschrieben: den Tastsinn, mit dem die eigene Leiblichkeit bewusst wird, den Lebenssinn, der uns erfahren lässt, welches Bedürfnis wir gerade haben, den Eigenbewegungssinn, der die innere Orientierung gibt und uns ermöglicht, Ziele zu verfolgen und zuletzt den Gleichgewichtssinn, der uns aufrecht stehen lässt. Alle vier Sinne sind körpernahe Sinne und geben in gewisser Weise Informationen oder Orientierung über unseren Körper.    

Nun kommen wir zu den bekannteren mittleren Sinnen: dem Geruchssinn, dem Geschmackssinn, dem Sehsinn und dem Wärmesinn. Sie werden auch Umgebungssinne genannt. Geruchssinn und Geschmackssinn
Die mittleren vier Sinne ermöglichen dem Menschen, sich mit der Welt zu verbinden.

Der Geruchssinn

Der Geruchsinn ist von der Geburt an entwickelt und nach zwei Lebenswochen vollständig ausgebildet. Durch das Atmen werden umliegende Gerüche in den Körper aufgenommen, über die feinen Riechzellen wahrgenommen und an die Riechrinde in unser Gehirn weitergeleitet.
Gerüche werden ohne eine spürbare Grenze im Körper aufgenommen, anders als beim Tastsinn, der dagegen spürbar an Grenzen stößt. Im Laufe der Zeit entwickeln sich die aufgenommenen Gerüche zu Gefühlen wie Sympathie oder Antipathie. Kinder fühlen sich in einer Umgebung, in der es gut riecht, wohl. Das sind z.B. Gerüche, die beim Kochen des Lieblingsgerichtes entstehen, oder der Duft des Frühlings. Unangenehme Gerüche hingegen, die natürlich nicht weggeamtet werden können, lassen ein Gefühl des Ekels entstehen. Der Geruchssinn hat einen starken Einfluss auf das Seelenleben, da er Erinnerungen in einem weckt.  
Der Geruchssinn ist eng verbunden mit dem Lebenssinn. In der Waldorfpädagogik wird in vielen Dingen das Ganzheitliche (Lernen mit allen Sinnen) aufgegriffen. Hier möchte ich noch einmal das Beispiel aus dem Bericht des Lebenssinns aufgreifen und die Verbindung herstellen: den Acker mühsam bis zum Ende zu pflügen und das Korn zu sähen, ermöglicht den Kindern das Gefühl der Erschöpfung, dagegen entsteht beim Betrachten und Ernten des Korns ein Glücksgefühl. Beim Backen aus dem Ertrag des eigenen Korns, steigt der leckere Duft von frischen Brötchen in die Nase.
Kommt man im fortgeschrittenen Alter in den Kontakt mit dem Duft von frischen Sonntagsbrötchen, werden alte schulische Erlebnisse hervorgerufen. Das kann auch der Duft der Bienenwachskerzen aus der Weihnachtszeit, der Duft des Holzes aus dem Werkunterricht oder die wohlige Umgebung im Kindergarten, in der die Kinder das wohlriechende Öltröpfchen in das Händchen geträufelt bekommen, sein. Düfte lassen sehr tiefe emotionale Erinnerungsspuren in einem aufsteigen und es werden lebhafte Erinnerungsbilder geweckt. 

Der Geschmackssinn

Der Geschmackssinn ist unserem Geruchssinn sehr ähnlich, durch die Aufnahme von außen im Erleben des Inneren, kommt er ebenfalls dem Lebenssinn sehr nahe. Einmal mehr wird die unabkömmliche Entwicklung der unteren Sinne verdeutlicht, die natürlich bei jedem Kind unterschiedlich weit fortgeschritten ist.

Die Nahrung muss bewusst im Mund aufgenommen werden. Süßes, Salziges, Saures, Bitteres wird über die Geschmacksknospen kennengelernt. Auch der Geschmackssinn ist ab der zweiten Lebenswoche voll entwickelt. Geruchssinn und Geschmackssinn ergänzen sich, denn, wenn etwas nicht gut riecht, wird die Aufnahme durch den Mund vermieden. Riecht es in der Küche besonders lecker, läuft einem das Wasser im Mund zusammen, dadurch wird der Verdauungstrakt auf die leckere Aufnahme vorbereitet. 
Über Geruchs- und Geschmacksspiele ist es möglich, die Sprache zu fördern und die unteren Sinne zu stärken. Das Kind lernt z.B. in Worte zu fassen, wie etwas riecht, woran es durch einen bestimmten Geschmack erinnert wird, welche Bilder dadurch hervorgerufen werden. Dadurch wird der Wortschatz erweitert und das Kind lernt außerdem in Kategorien zu denken. 

Mira Riedel
Förderlehrerin