DIE 12 SINNE IN DER WALDORFPÄDAGOGIK
TEIL 1 – DER TASTSINN

Wie in meinen letzten Bericht „Die Zweitklassuntersuchung an unserer Schule“ erwähnt, gehe ich in 12 kleineren Berichten näher auf die einzelnen Sinne ein. 

Im Gegensatz zu den uns bekannten fünf Sinnen dem Hörsinn, dem Tastsinn, dem Geruchssinn, dem Geschmackssinn und dem Sehsinn, spricht Rudolf Steiner von in insgesamt 12 Sinnen: den Erkenntnissinnen, Umgebungssinnen und den körpernahen Sinnen, welche er in obere, mittlere und untere Sinne gliedert: 

Obere Sinne, die Erkenntnissinne:
– Ich-Sinn
– Gedankensinn
– Sprachsinn
– Hörsinn 

Mittlere Sinne, die Umgebungssinne:
– Wärmesinn
– Sehsinn
– Geschmackssinn
– Geruchssinn 

Untere Sinne, die körpernahen Sinne:
– Gleichgewichtssinn
– Bewegungssinn
– Lebenssinn
– Tastsinn 

In der Waldorfpädagogik haben die 12 Sinne eine große Bedeutung. Im Kindergarten sowie an den Schulen werden die Sinnestätigkeiten gefördert, sie werden als Ansatzpunkt aller Bildung betrachtet. Bildung gilt als ganzheitlicher Vorgang, in dem die Sinne miteinander verbunden werden. Durch das Zusammenspiel aller Sinne verbindet sich das Kind mit seinem Ich. 

Der Tastsinn 
Er wird auch unser taktiles Wahrnehmungsorgan oder Kontaktsinn genannt, wenn unsere Haut an etwas anstößt. Es ist unser größtes Sinnesorgan und der erste Sinn, welcher sich schon im Mutterleib entwickelt. Unsere Haut umhüllt uns und schützt unser Inneres.
Durch ihre unzähligen Wahrnehmungsrezeptoren nimmt sie auf dem Weg durch den Geburtskanal unbewusst die ersten Reize wahr: die Temperatur, Berührungen, Vibration, Schmerz, Druck, Zug.

Auf der Welt angekommen nimmt sie wahr, wie sie an die Außenwelt anstößt. Viele Reize werden unbewusst zunächst über die Haut wahrgenommen, die Reaktion kann jedoch ganz unterschiedlich ausfallen: das eine Kind zieht beim ersten Kontakt mit einer Wiese die Hand zurück, das andere Kind mag sofort seine Hände hineingraben.

Auch findet eine aktive Erkundungswahrnehmung statt. Das Kind ergreift z.B. ein Holzklötzchen und nimmt es als rau, rissig und warm wahr. Das Klötzchen wird immer und immer wieder mit den Händen und dem Mund auf die Eigenschaften der Oberfläche und Form erforscht.
Der bewusste Kontakt zur Außenwelt lässt das Kind erfahren, ob es gerne mit nackten Füßen durch die Wiese läuft, ob es Kleidung auf der Haut mag oder ob sie zu kratzig ist.
Zusammengefasst erlebt das Kind seine ersten Erfahrungen zur Außenwelt über das Sinnesorgan Haut (es stößt an der Außenwelt an) und wird sich seiner eigenen Körperlichkeit über den Tastsinn bewusst.  
Zur weiteren Entwicklung muss das Kind Dinge immer wieder anfassen und auch erfahren um diese zu begreifen und mögliche Grenzen für sich zu erkennen.
Was wir alle von unseren Kindern kennen und auch bei uns Erwachsenen nicht auszuschließen ist, dass es oft nicht ausreicht Dinge nur zu lesen: „Bitte nicht anfassen, frisch gestrichen“. Oft erleben wir, dass etwas trotzdem noch einmal berührt, ertastet werden muss, um uns wirklich sicher zu sein, dass beispielsweise die Wand noch nass ist. Oft müssen Dinge erst ergriffen oder ertastet werden, um diese zu begreifen und zu verinnerlichen. 

In der Förderarbeit an der Schule arbeite ich gern mit Tasterlebnissen, unseren großen Sandbuchstaben. Sie werden mit geschlossenen Augen ertastet, daraus werden Wörter und später auch Sätze zusammengesetzt.

Die Kinder haben große Freude daran Bilder, Buchstaben oder auch Zahlen mit dem Finger auf den Rücken gemalt zu bekommen, welche sie erraten und aufschreiben. Um Erlebnisse zu verknüpfen, sind auch die anderen Sinne und deren Zusammenspiel von großer Bedeutung. In meinem nächsten Artikel werde ich den Lebenssinn erläutern. 

Mira Riedel